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Präsident Barzanis Stellungnahme zum einhundertsten Jahrestag des Sykes-Picot-Abkommens

Präsident Barzanis Stellungnahme zum einhundertsten Jahrestag des Sykes-Picot-Abkommens

„Heute jährt sich zum einhundertsten Mal der Abschluss des Sykes-Picot-Abkommens. Dieses Abkommen führte zur Zerteilung der Region nach dem Ersten Weltkrieg, ohne dabei den Willen und die geographischen Realitäten der Region zu berücksichtigen. Es stellte eine immense Ungerechtigkeit für die Menschen der Region dar, insbesondere für die Kurden.

Die Konsequenzen dieses Abkommens waren in hohem Maße schädlich für die Menschen Kurdistans im Staat Irak. Ein irakischer Staat, welcher ursprünglich im Rahmen einer Partnerschaft zwischen Kurden und Arabern erschaffen wurde, führte zur Marginalisierung der Kurden. Aufeinanderfolgende irakische Regime haben den Kurden ihre grundlegenden Rechte verweigert und den Kurden immenses Leid zugefügt. Die Folgen dieser Partnerschaft waren die Ermordung und Deportation von 12.000 jungen Faili Kurden, die Ermordung von 8.000 Barzani Kurden, die Ermordung und Verschleppung von 182.000 Kurden in der Garmiyan-Gegend und in anderen Teilen der Region, die Chemiewaffenangriffe auf Halabja, die Zerstörung von 4500 kurdischen Dörfern, die Arabisierung von kurdischen Teilen des Landes sowie zahllose weitere Verbrechen.

Nach dem Aufstand 1991 zeigten die Menschen Kurdistans die Bereitschaft, ein neues Kapitel in den Beziehungen mit dem irakischen Staat zu eröffnen und unterließen jegliche Vergeltungsmaßnahmen gegen die früheren Täter. Doch dies war vergeblich, da die irakische Regierung ihre Unterdrückung der kurdischen Bevölkerung fortführte.

Nach dem Sturz des Baath-Regimes 2003 entschlossen sich die Menschen Kurdistans nach Bagdad zurückzukehren, um durch die Schaffung einer neuen Verfassung, welche die Prinzipien einer aufrichtigen Partnerschaft, Demokratie, und Föderalismus garantiert, einen neuen irakischen Staat aufzubauen. Stattdessen hat die irakische Regierung die Verfassung ignoriert, ihre Verpflichtungen torpediert, ihre Partnerschaft vernachlässigt und beschlossen das Budget der Region Kurdistan zu beschneiden.

Krieg, Tragödien, Instabilität und Extremismus sind das Ergebnis vom Sykes-Picot-Abkommen, welches die Menschen der Region in künstliche Staaten zwang, besonders im Irak. Die Menschen des Irak, Kurdistans und der gesamten Region konnten seit der Erschaffung dieser künstlichen Grenzen weder Frieden noch Stabilität genießen.

Der Irak bildet heute ein Land, welches entlang konfessioneller Grenzen geteilt wird. Im Irak, in Syrien und vielen anderen Staaten hat ISIS die ursprünglichen Grenzen aufgehoben und neue geschaffen. Die Menschen Kurdistans trifft hierbei im Irak keine Schuld. Die Verantwortung liegt bei jenen, welche die Region vor einhundert Jahren willkürlich aufgeteilt haben sowie bei den fatalen Politiken der Herrscher dieser Region, welche Stabilität durch Gewalt und Unterdrückung wahren wollten. Dabei haben sie versagt.

In den vergangenen einhundert Jahren haben die Menschen Kurdistans mit allen Möglichkeiten versucht, die territoriale Integrität eines genuinen irakischen Staates zu wahren, doch dies war vergeblich. Ich wäre jedem dankbar, der uns erklären kann, was die kurdischen Menschen zusätzlich tun hätten sollen, um die Einheit des Irak zu schützen. Um Krieg, Instabilität und weitere Tragödien zu verhindern, muss das Sykes-Picot-Abkommen revidiert werden. Die Menschen des Irak können Krieg, Uneinigkeit und Extremismus nicht weiter tolerieren. Wir können nicht mit weiteren Tragödien leben und auf ein einhundert Jahre altes Abkommen, welches unverkennbar gescheitert ist, beharren. Die internationale Gemeinschaft und regionale Akteure müssen verstehen, dass weitere Tragödien im Irak nur verhindert werden können, indem wir den Aufbau des Landes überdenken und es den Menschen des Irak überlassen, über ihre politische Zukunft zu entscheiden. Für die Zukunft der Kurden in anderen Regionen müssen Lösungen gefunden werden, welche nur durch Frieden und Dialog erzielt werden können und die jeweiligen Umstände berücksichtigen.

Wir müssen die neuen Realitäten Akzeptieren; Staatsbürgerlichkeit hat sich nicht entwickelt; Grenzen und Souveränität sind bedeutungslos geworden, das Sykes-Picot-Abkommen ist am Ende. Die internationale Gemeinschaft muss diese historische Verantwortung tragen und, anstatt auf das fortwährende Leid der Menschen des Irak zu bestehen, eine ernsthafte Lösung für den Irak und die Region finden. Ansonsten sind wir zu Krieg, Extremismus und weiteren Tragödien verdammt und internationaler Friede sowie Sicherheit bleiben fortwährend bedroht.

In diesen schwierigen Zeiten besteht eine historische Chance für uns alle, Tragödien, Leid und die Wiederholung vergangener Fehler zu verhindern.

An diesem einhundertsten Jahrestag des Sykes-Picot-Abkommens rufe ich zu einem ernsthaften Dialog zwischen Erbil und Bagdad auf, um eine neue Lösung zu erreichen. Wenn Partnerschaft nicht erreicht werden kann, lasst und Brüder und gute Nachbarn sein.

Wenn politische Parteien in der Region Kurdistan, aus welchen Gründen auch immer, sich dazu entscheiden, diese historische Verantwortung nicht zu tragen, werden die Menschen ihre Entscheidung treffen, welche stärker sein wird und mehr Legitimität enthält. Ich bin zuversichtlich, dass die Menschen Kurdistans die richtige Entscheidung treffen werden.“